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Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) - Civic Innovation Platform

„Mehr Akzeptanz für KI erreichen wir nur durch Mitbestimmung“

Oliver Suchy, Leiter der Fachabteilung Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) über den Nutzen von Künstlicher Intelligenz (KI) für Arbeitnehmer*innen und die Effekte betrieblicher Mitbestimmung.

Interview mit Oliver Suchy anhören:

Denkfabrik: Herr Suchy, wie beurteilen Sie die KI-Förderung in Deutschland?

Suchy: Ich glaube, in den letzten Jahren hat sich einiges bewegt. Das kam zwar etwas spät, aber inzwischen haben wir ein paar gute Ansätze, sowohl was die Forschung angeht als auch in der Arbeitswelt und auch bei sozialen Innovationen. In Zukunft wünsche ich mir noch etwas mehr Konsistenz bei dem, was an unterschiedlichen „Zentren“ aufgebaut wird. Sei es im Mittelstand oder bei regionalen Kompetenzzentren: Viele Initiativen könnte man besser miteinander vernetzen, um zu mehr Synergien zu kommen. Ich glaube, generell sollte auch die Politik aus betrieblichen Experimentierräumen und Expertennetzwerken lernen, was die tatsächlichen Anforderungen betrifft. Denn hier werden Learnings entwickelt, die auch politisch relevant sind.

Denkfabrik: Der DGB unterstützt die Civic Innovation Platform als Kooperationspartner. Warum ist das Projekt für Sie interessant?

Suchy: Die Plattform ist für uns interessant, da sie sich an gesellschaftlichen Bedarfen orientiert. Momentan erleben wir KI im Alltag ja eher unter dem Stichwort „Convenience“, also als Mittel, um unser Leben bequemer zu machen. Auf der Plattform geht es hingegen darum, soziale Innovationen auf den Weg zu bringen. Außerdem beeindruckt mich die Geschwindigkeit. Normalerweise dauert es oft sehr lange, bis Projekte in die Förderung gehen und zu Ergebnissen kommen. Das hat natürlich seine Berechtigung, aber wir sollten generell schneller werden. Bei der Civic Innovation Platform geht es darum, aus kleinen Ideen gute Projekte werden zu lassen.

Denkfabrik: Was muss bei der Entwicklung von KI-Anwendungen berücksichtigt werden, damit sie von allen Menschen genutzt werden können?

Suchy: Den Glauben, künstliche Intelligenzsysteme für alle gleichermaßen nutzbar zu machen, also dass immer alle von allem profitieren, halte ich für naive Augenwischerei. Es geht gerade bei KI um schwierige Interessenskonflikte. Man muss daher differenzieren. Als DGB ist unser Ansatz klar: Wir haben den Anspruch, KI zu nutzen, um Arbeit besser zu machen und um gute Arbeit zu entwickeln. Das ist allerdings in der Umsetzung schwierig. Oft fehlt es auf Seiten der Beschäftigten und Betriebsräte an der nötigen Transparenz über die Systeme und bei Arbeitgeber*innen herrscht eine gewisse Orientierungslosigkeit. Da geht es um Fragen wie: Was kann ich eigentlich mit einer KI erreichen? Welche Strategie habe ich und welche Zielkonflikte sind damit verbunden? Es braucht gerade bei KI dringend eine Folgenabschätzung für die Änderungen im Betrieb, für die Arbeitsplätze. Schließlich geht es auch um die Zukunft der menschlichen Autonomie, der Handlungsträgerschaft in der Interaktion von Mensch und Maschine. Diese Fragen betreffen auch die Projektideen auf der Civic Innovation Platform. Ich sehe zum Beispiel durch KI sehr große Potenziale für bessere Bedingungen der Pflegekräfte, auch für Pflegebedürftige. Aber das sind sehr sensible Fragen, die muss man sorgsam, präventiv und partizipativ ausloten. Den „einen“ Menschen gibt es ohnehin nicht, sondern immer unterschiedliche Interessen, die man miteinander in Einklang bringen muss. Wir brauchen hier neues Denken und bessere Change-Prozesse – dafür haben wir als DGB in 2020 ein Konzept entwickelt, das breite Anerkennung findet.

Denkfabrik: Können Sie ein konkretes Bespiel nennen, wo KI das Arbeitsleben von Beschäftigten verbessern kann?

Suchy: In der Pflege kann Sprachsteuerung die Dokumentation vereinfachen und auch sonst gibt es unzählige Bereiche, sei es in der Produktion, bei der Qualitätskontrolle oder auch aktive Exoskelette in der Lagerei. Die Bandbreite ist nahezu unerschöpflich. Die Frage muss immer sein, wie wir durch KI-Anwendungen tatsächlich Entlastung für Arbeitnehmer*innen und damit bessere Arbeitsbedingungen schaffen können. Nur dann entsteht eine Win-Win Situation. Das geht nicht gut ohne betriebliche Folgenabschätzung. Dafür braucht es ein neues Change-Management.

"Die Frage muss immer sein, wie wir durch KI-Anwendungen tatsächlich Entlastung für Arbeitnehmer*innen und damit bessere Arbeitsbedingungen schaffen können. Nur dann entsteht eine Win-Win Situation."

Oliver Suchy

Denkfabrik: Was können Beschäftigte tun, um in der digitalen Arbeitswelt gut arbeiten zu können? Wie können sie sich auf einen verstärkten KI-Einsatz vorbereiten?

Suchy: Nicht allein die Beschäftigten müssen sich vorbereiten. Unternehmen und Verwaltungen müssen sich gemeinsam aufmachen, Bedarfe zu formulieren. Diesen Ansatz verfolgt ja auch die Civic Innovation Platform, also erst einmal zu fragen: Was brauchen wir überhaupt? Zum Beispiel wieder in der Pflege. Da stellt sich u.a. die Frage, wie intelligente Robotik tatsächlich unterstützen kann, ob und welche Anwendungen Pflegebedürftigen helfen und wo Konflikte zu erwarten sind. Dafür muss man von Anfang an Forscher*innen mit Anwender*innen zusammenbringen – also mit Beschäftigten und Arbeitgeber*innen, um das System so einzurichten, dass es die Situation nachhaltig verbessert. Dazu kommt die Frage, wie KI-Systeme überhaupt bewertet werden können. Das ist eine Herausforderung für Betriebe und auch Betriebsrät*innen. Deshalb ist eine Transparenzpflicht für KI-Anbieter*innen, wie es von der EU aktuell geplant ist, ein richtiger – wenn auch ausbaufähiger – Ansatz. Ich denke aber, dass es auch eine unterstützende Förderung geben sollte, um Kompetenzen von Interessenvertretungen durch Qualifizierung zu stärken. Das ist ein Thema der KI-Strategie der Bundesregierung – hier sehen wir noch Potenzial.

Denkfabrik: Die Civic Innovation Platform ist ein zentrales Element der Initiative Civic Coding ‒ Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl. Das ist ein gemeinsames Projekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. In diesem offenen Netzwerk sollen die Kräfte der drei Häuser gebündelt und die Entwicklung und Nutzung von gemeinwohlorientierter KI vorangebracht und gefördert werden. Was braucht ein solches Netzwerk aus Sicht der Gewerkschaften?

Suchy: Erst einmal finde ich ein solches Netzwerk sinnvoll. Ich würde mir wünschen, dass es sich noch weiter spannen lässt. Die Kompetenz und Stärken, aber auch die Bedarfe unterschiedlicher Häuser sollten generell noch stärker miteinander verbunden werden. Wir sehen da einen großen Aufholbedarf im öffentlichen Sektor. Aus Sicht der Gewerkschaften braucht ein solches Netzwerk natürlich die Perspektive der Beschäftigten und der Personal- und Betriebsräte. Denn am Ende sind es die Mitarbeitenden, die diese Anwendungen nutzen und damit umgehen. Das neue Betriebsrätemodernisierungsgesetz bietet einen ersten Ansatz in Sachen Mitbestimmung. Unser Anspruch reicht aber deutlich weiter, was die Einbeziehung und verbindliche Mitsprache von Beschäftigten und Interessenvertretungen betrifft. Das wurde bislang leider noch nicht durchgesetzt – ich bin aber überzeugt, dass dies notwendig ist, auch im internationalen Vergleich. Nur mit innovativen Change- und Mitbestimmungsprozessen bekommen wir einen Kulturwandel und einen transparenten Umgang mit KI hin. Das würde vielen dann auch die Angst vor der Technologie nehmen, die ja weit verbreitet ist.

Denkfabrik: Wie haben Sie die erste Runde des Ideenwettbewerbes Gemeinsam wird es KI erlebt und was wünschen Sie sich für die kommenden Runden?

Suchy: Das spannende an der ersten Runde waren die vielen unterschiedlichen Ansätze. Es gab nicht nur das Thema Arbeit, sondern eben auch viele andere Ideen. Ich wünsche mir, dass es weiterhin so bunt bleibt und sich für viele Ideen, die in den Köpfen der Menschen schlummern, die entsprechenden Netzwerke organisieren. Und ich hoffe, dass diese Ideen mit dem Anschub der Plattform und der Denkfabrik zu einer guten Umsetzung kommen.

Denkfabrik: Herr Suchy, vielen Dank für das Gespräch.

Oliver Suchy

Oliver Suchy leitet die Abteilung „Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung“ beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Ein Schwerpunktthema ist die Nutzung und Gestaltung von Systemen Künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt. Suchy arbeitet im internationalen Expert*innen-netzwerk Global Partnership on AI (GPAI) sowie im KI-Netzwerk der OECD (ONE AI). Er ist Mitglied der KI-Plattform „Lernende Systeme“ des BMBF sowie zur „Digitalen Arbeitswelt“ im BMAS. Er vertritt den DGB u. a. im Steuerkreis der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) sowie im Beraterkreis zum BMBF-Forschungsprogramm „Zukunft der Arbeit“. Suchy hat zwei Kinder und lebt in Berlin.