Inhalt

Transkript Interview Katrin Elsemann (SEND e.V.) - Civic Innovation Platform

  • Deutsch

  • English

Transkript zum Audio-Interview mit Katrin Elsemann (SEND e.V.)

Denkfabrik: Wie kann Künstliche Intelligenz so eingesetzt werden, dass sie die Gesellschaft insgesamt voranbringt? Wie schaffen wir es, dass aus technologischem auch ein sozialer Fortschritt wird? Für die Denkfabrik steht fest: Das kann nur gemeinsam gelingen. Mit der Civic Innovation Platform möchte sie Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen zusammenbringen. Gemeinsam sollen sie daran arbeiten, KI-Anwendungen zu entwickeln, die das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Neben Kreativität kommt es da vor allem auf gute Zusammenarbeit an, und in diesem Sinne freuen wir uns sehr, dass das SEND e.V., das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland, die Plattform unterstützt. Wie genau es zu dieser Kooperation kam, darüber möchten wir heute mehr erfahren. Dazu begrüße ich Katrin Elsemann. Sie ist Geschäftsführerin des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland. Frau Elsemann, mit Ihrem Netzwerk möchten Sie dem Social Entrepreneurship Sektor in Deutschland eine Stimme verleihen. Was macht ein gutes Sozialunternehmen für Sie aus?

Katrin Elsemann: Also, wir haben tatsächlich bei uns im Netzwerk verschiedene Kriterien, die wir an den Tag legen, wenn wir Organisationen aufnehmen, Unternehmen aufnehmen, die bei SEND Mitglied werden möchten. Und grundsätzlich definieren wir Sozialunternehmertum in drei Bereichen. Also, der erste Bereich ist die Zielsetzung, also die soziale und/oder ökologische Zielsetzung. Das bedeutet, ich möchte gerne mit meiner Organisation ein soziales oder ökologisches Problem lösen. Das ist nicht etwas, was nebenbei passiert, das ist kein Corporate Social Responsibility Projekt, sondern es ist der Kern des Unternehmens. Es ist der Grund, warum sich das Unternehmen überhaupt gegründet hat. Der zweite Bereich, der uns wichtig ist, ist der unternehmerische Bereich, die unternehmerische Dimension. Das bedeutet, ich möchte natürlich ein tragfähiges Modell haben. Ich möchte schauen, dass ich meine Organisation langfristig am Leben erhalten kann, dass ich wachsen kann. Und das bedeutet eben, dass ich nicht komplett abhängig bin, zum Beispiel von volatilen Zuwendungen. Das bedeutet, dass ich versuche, ein Finanzierungsmodell aufzubauen, das meine Organisation tragen kann. Das heißt nicht, dass ich mich hauptsächlich zum Beispiel über den Verkauf von Produkten/Dienstleistungen finanziere. Das kann natürlich der Fall sein, aber es kann auch genauso gut sein, dass ich eben Mitgliedschaften vergebe, weil ich viele Mitglieder habe, dass ich mich darüber finanziere oder eben auch über langfristige Förderung. Also, die meisten unserer Mitglieder haben tatsächlich hybride Einkommensquellen. Der dritte Bereich, der sehr wichtig ist für ein gutes Sozialunternehmen, ist die Frage nach der Unternehmensführung. Dass ich nicht nur versuche, ein sozial innovatives Produkt oder Dienstleistung herzustellen, mit der ich ein sozial-ökologisches Problem löse, sondern dass ich auch innerhalb meiner Organisation/Unternehmen eine nachhaltige Struktur aufstelle, sei es bei der Arbeit mit Kundinnen und Kunden, mit weiteren Stakeholdern. Wie gehe ich mit meinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um? Das sind wichtige Themen und natürlich auch das Thema Gewinnverwendung. Also wie werden Gewinne im Unternehmen verwendet? Stecke ich die wieder in den Zweck der Organisation? Das ist sozusagen ein Kriterium für ein gutes Sozialunternehmen, dass Gewinne mehrheitlich in den Zweck/die Organisation gesteckt werden. Oder werden sie vielleicht hauptsächlich an Shareholder ausgeschüttet? Das ist etwas, das wir problematisch sehen. Wenn die Shareholder oder Anteilseigner/Investoren zu viel Macht haben, dann kann es natürlich sein, dass die eigentliche Mission und die eigentliche Vision, das Ziel der Organisation, irgendwann nicht mehr da ist und man dann doch zu sehr nach einer rein finanziellen Rendite strebt.

Denkfabrik: Und wie ist Deutschland im Bereich Social Entrepreneurship im internationalen Vergleich aufgestellt?

Katrin Elsemann: Unterschiedlich gut, in einigen Bereichen sicherlich besser als in anderen Bereichen. Aber insgesamt kann man sagen, dass Deutschland da Aufholbedarf hat. Es gibt verschiedene Studien, zum Beispiel The Best Country to be a Social Entrepreneur von der Thomson Reuters Foundation. Da ist Deutschland eher so zwischen den Plätzen 20 und 30 angesiedelt, außer bei der Frage nach der Dynamik. Also wie stark ist da die Dynamik und die junge Entwicklung? Da sind wir relativ stark weit vorne. Das merken wir auch sehr stark, wie in Deutschland sehr viele junge Unternehmen, Start-ups, sich zum Thema Social Entrepreneurship bekennen und das zum Ziel ihrer Organisation oder ihres Unternehmens machen. Aber in anderen Bereichen, was zum Beispiel Definition von Social Entrepreneurship angeht, was eine ressortübergreifende Strategie für das ganze Land angeht, was das Finanzierungsökosystem angeht und die Möglichkeiten zu wachsen, da ist Deutschland sicherlich nicht so gut aufgestellt, was zum Teil auch daran liegt, dass wir eine sehr starke soziale Marktwirtschaft haben und eine sehr starke Wohlfahrt, die viele der Aufgaben übernimmt, die in anderen Ländern vielleicht von Sozialunternehmen übernommen werden müssen.

Denkfabrik: Kommen wir zum Thema Künstliche Intelligenz. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit KI-Anwendungen auch von Unternehmen im Sinne des Gemeinwohls eingesetzt werden können? Und was sollte vor diesem Hintergrund aus Ihrer Sicht bei der Entwicklung gemeinwohlorientierte KI-Anwendungen berücksichtigt werden?

Katrin Elsemann: Immer vom Ziel her denken. Die Technologie ist ja kein Selbstzweck, sondern man möchte mit der Technologie etwas bewirken. Und wenn ich ein KI-Unternehmen bin, dann ist es, glaube ich, von höchster Relevanz, dass ich mir überlege: Wer soll mit dieser neuen Entwicklung erreicht werden? Und ist diese Zielgruppe eingebunden in die Entwicklung? Ich glaube, das ist entscheidend, inwiefern wir Teilhabe, Partizipation von den Menschen, die diese Entwicklung letztendlich betreffen soll, zulassen. Und diese gemeinsame Entwicklung von KI, also sozusagen, dass möglichst viele unterschiedliche Zielgruppen, Stakeholder mit eingebunden sind, die würde ich auch zum Kriterium machen bei gemeinwohlorientierten Anwendungen, also dass man eben sicher gehen kann, dass dort nicht nur aus einer Forscherinnenbrille oder Entwicklerperspektive ein Algorithmus entwickelt wird, der aber letztendlich gar nicht so sehr mit der Realität der Menschen zu tun hat, die man vielleicht erreichen möchte.

Denkfabrik: Und die Gemeinwohlorientierung und das Gewinnstreben scheinen sich zunächst gegenseitig auszuschließen. Wie stehen diese scheinbar unterschiedlichen Pole Ihres Erachtens nach zueinander?

Katrin Elsemann: Also ich denke nicht, dass sie sich gegenseitig ausschließen, denn es geht ja auch bei der Gemeinwohlorientierung darum, letztendlich Gewinne zu machen, um sich selbst zu tragen und vielleicht auch die Gewinne wieder in das Unternehmen zu stecken, um wachsen zu können und mehr Gemeinwohl zu erreichen. Die Frage ist, ob wir nach einer Gewinnmaximierung streben müssen. Und ich glaube, das ist es, was wirklich kritisch ist. Also wenn man immer versucht, das Maximale an finanziellem Gewinn rauszuholen und dann eben das auf Kosten des Gemeinwohls geht. Wenn man grundsätzlich sagt, wir wollen nachhaltig sein, im sozialen, ökologischen und finanziellen Bereich, dann ist das garantiert kein Gegensatz. Und ich glaube, da sind wir häufig auch vom Verständnis her gar nicht so weit auseinander, sondern man wird halt sehr schnell in eine Ecke gestellt, wenn man Gemeinwohlorientierung voranstellt, dass man damit ja kein Geld verdienen kann und deswegen ja sicherlich nicht ernst zu nehmen sei. Dabei ist dem natürlich nicht so.

Denkfabrik: Und welche politischen Rahmenbedingungen braucht es Ihrer Meinung nach, um Sozialunternehmen und ihre Beschäftigten, die KI-Anwendungen nutzen, gut zu unterstützen und decken die aktuellen politischen Rahmenbedingungen auch die Bedarfe von Sozialunternehmen ab oder sehen Sie hier Anpassungs- oder Nachholbedarf?

Katrin Elsemann: Ja, da sehe ich auf jeden Fall Anpassungs- und Nachholbedarf. Denn es ist so, dass bisher technologischer Fortschritt in eine gewisse Schublade größtenteils gesteckt wird und wir aber dafür kämpfen wollen, dass technologischer Fortschritt in erster Linie dazu dienen soll, soziale gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Die Frage ist, inwiefern man dieses Ziel auch als Ziel einer Fördermaxime machen kann. Wie können wir sichergehen, dass Unternehmen, die KI anwenden, um in erster Linie gesellschaftliche Herausforderung zu lösen, die gleichen Rahmenbedingungen bekommen, das heißt Zugang zu Finanzierungen in erster Linie, wenn es noch nicht klar ist, wie hoch die direkte finanzielle Rendite da am Ende ist, sondern, dass man eher sagt: Können damit sozial-ökologische Mehrwerte geschaffen werden? Dann sollte diese KI-Entwicklung auch stärker gefördert werden und das ist aktuell eher nicht so. Aktuell ist es so, dass ich als Sozialunternehmen, das versucht, mittels von Künstlicher Intelligenz gesellschaftliche Herausforderung zu lösen, dass ich es eben schwierig habe, Förderungen oder auch Investorinnen und Investoren zu finden, weil eben die sozialen und ökologischen Kriterien, die ich an den Tag lege, die es natürlich ein bisschen komplexer machen, nicht honoriert werden.

Denkfabrik: Das SEND ist Kooperationspartnerin der Civic Innovation Platform. Was ist Ihres Erachtens nach spannend an der Zusammenarbeit und welche Synergieeffekte entstehen?

Katrin Elsemann: Wir haben sehr viel gelernt durch die Zusammenarbeit. Man muss natürlich sagen, jede Organisation bewegt sich ein Stück weit immer in seiner Blase und durch die Civic Innovation Platform gab es einen großen Zugang von Forschungsinstituten, Entwickler*innen, rein technologischen Organisationen oder Unternehmen und eben dem zivilgesellschaftlichen oder sozialen Sektor. Und das ist glaube ich die große Chance, die ich bei der Civic Innovation Platform auch sehe, dass wir versuchen, gemeinsam zu wirken und die verschiedenen Perspektive einfließen zu lassen, um dann eben die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Und das haben wir eben festgestellt, dass sich leider häufig diese verschiedenen Blasen nicht so sehr berühren. Deswegen braucht es solche Plattformen und solche Programme wie die Civic Innovation Platform.

Denkfabrik: Und spielen KI-Anwendungen in Ihrem Netzwerk, also dem SEND, eine Rolle und wenn ja, in welchen Bereichen?

Katrin Elsemann: Sie spielen eine Rolle. Nicht überall und nicht bei allen Organisationen, denn es ist hochtechnologisch und deswegen auch teilweise natürlich sehr teuer und viele von den Sozialunternehmen sind da noch nicht so weit. Aber in einigen Bereichen spielt es auf jeden Fall eine Rolle. Im ökologischen Bereich sehen wir das häufig, dass über KI versucht wird, nachhaltige Algorithmen herzustellen, um zum Beispiel Kaufentscheidungen grüner zu machen oder um zu berechnen, wie der eigene Fußabdruck aussieht, wenn ich online shoppe. In dem Bereich sehen wir das häufiger. Aber auch in den Bereichen von New Work Themen, wenn wir rekrutieren, wenn wir mit Mitarbeitenden zusammenkommen, wenn wir versuchen, kooperativ miteinander zu arbeiten, gibt es Anwendungen von KI. Also wir sehen das überall und immer stärker. Ich glaube, die Herausforderung ist wirklich da zu schauen: Wie kriegen wir auch die Expertise von KI-Technologie in die Organisationen hinein und das eben auch langfristig zu verstetigen. Denn natürlich ist es eine große Ressourcenfrage.

Denkfabrik: Was muss passieren, um perspektivisch das Thema KI und Gemeinwohlorientierung zu stärken?

Katrin Elsemann: Es muss mehr Berührungspunkte geben, von den Akteuren. Also wie schaffen wir diese Räume, wo sich Akteure aus dem Bereich der KI und aus dem Bereich des Gemeinwohls treffen, gemeinsame Ziele diskutieren und eben auch schauen, wie man eventuell zusammen was erarbeitet und umsetzt? Also diese Räume, die passieren nicht automatisch, das sind die Blasen, von denen ich vorhin gesprochen habe. Da muss es etwas geben. Auf der anderen Seite brauchen wir politische Rahmenbedingungen, die genau das fördern. Also wir brauchen Förderkriterien bei der Entwicklung von KI, die sagen: Nur gemeinsam mit einem gemeinwohlorientierten Partner wird die Entwicklung eines bestimmten Bereiches gefördert, damit man eben sagen kann, als Beispiel: Ich nehme jetzt eine KI, um es wohnungslosen Menschen einfacher zu machen, Unterstützung zu finden und das ist jetzt sozusagen die größte Herausforderung, die wir haben in meiner Stadt und dafür bekomme ich zum Beispiel eine Förderung und genau dafür versuche ich, die KI zu entwickeln. Solche Anreize müssen gesetzt werden, damit es auch für Forscher*innen in dem Bereich und Entwickler*innen in dem Bereich möglich gemacht wird, sich im gemeinwohlorientierten Sektor zu bewegen.

Denkfabrik: Sie haben die Zwischenpräsentation der prämierten Ideen der ersten Runde des Ideenwettbewerbs der Civic Innovation Platform als Expertin begleitet. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Teams bei der weiteren Ausgestaltung Ihrer Projektideen?

Katrin Elsemann: Ich war sehr begeistert davon, dass sich die Teams in so unterschiedlichen Akteursgruppen zusammengefunden haben. Das hat mich sehr positiv beeindruckt, dass es immer sehr gemischte Gruppen waren, mit unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen. Und ich glaube, da liegt auch die größte Herausforderung. Also, wie schaffe ich es jetzt, recht komplexe Projektstrukturen auch dauerhaft beizubehalten? Das halte ich für nicht ganz trivial, denn letztendlich, das kann man am Anfang, in der Anfangseuphorie immer ganz gut machen. Und je länger das Projekt dauert, desto anstrengender kann es auch werden, sich dauerhaft sozusagen zusammenzufinden und die Ressourcen dafür zu haben, in diese Abstimmungsprozesse auch zu gehen. Das sehe ich als größte Herausforderung.

Denkfabrik: Mit Ihrem Ziel, die Entwicklung und Nutzung gemeinwohlorientierte KI-Anwendungen zu unterstützen, ist die Civic Innovation Plattform nicht allein. Die Civic Innovation Platform ist ein zentraler Baustein von „Civic Coding ‒ Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl“, einer gemeinsamen Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. In diesem offenen Netzwerk sollen die Kräfte der drei Häuser gebündelt und die Entwicklung und Nutzung von gemeinwohlorientierter KI vorangebracht und gefördert werden. Was braucht ein solches Netzwerk aus Sicht des Social Entrepreneurship Sektors?

Katrin Elsemann: So ein Netzwerk braucht meiner Meinung nach die Stimme von kleineren Organisationen. Die Frage ist: Wie ist dieses Netzwerk aufgestellt? Mit wem sprechen sie? Wer sitzt dort vielleicht auch noch in einem Steuerungsgremium? Und sind da hauptsächlich Forschungsinstitute und vielleicht ein paar Verbände, oder sind es eben auch wirklich Akteure aus dem sozialunternehmerischen Sektor? Sind es Social Start-Ups? Sind es junge gemeinnützige Initiativen, die sagen, ja, wir haben Interesse und wir möchten gerne da mitmachen? Und sind es vielleicht auch wirklich so Akteure, mit denen man sonst nicht so oft zusammenarbeitet, die aber von KI besonders gut profitieren könnten? Große Naturschutzorganisationen, die vielleicht sehr viel tolle Arbeit leisten, aber bisher eben noch nicht so oft mit KI in Berührung gekommen sind. Darum geht's wirklich, zu schauen, wie haben wir die richtigen Akteursgruppen versammelt in diesem Netzwerk und können wir ihnen zuhören, was ihre Bedürfnisse und Interessen sind?

Denkfabrik: Vielen Dank.